THE DEBONAIRES : „Listen forward“ LP inkl. CD (Grover Records)
Die 9-köpfige kalifornische Ska/Rocksteady/EarlyReggae - Truppe gibt’s schon seit Ewigkeiten (1995), in Europa sind sie aber bislang nicht präsent gewesen, abgesehen von einem Beitrag auf dem „Searching for the young soul rebels“ – Sampler. Aber das ist auch schon wieder 17 lange Jahre her. Grover hat sich der Mannschaft jetzt angenommen und mit „Listen forward“ eine Compilation aus den Alben s/t (2002), „Longshout“ (2005) und „Movin‘“ (2013) zusammengestellt, die viele Facetten aufweist. Die Marschroute geht grob Richtung Rocksteady, Schlenker in mehr „uptempo“-Gefilde inklusive. Dabei lebt das Ganze von einer gewissen spielerischen Leichtigkeit mit viel Platz für Entfaltung seitens der Musiker. Gefühlvoll und leichtfüssig, mitunter auch eher „mellow“, die haben die Klaviatur komplett drauf. Einfühlsamer Gesang und eine kompetente Bläsersektion tun ihr übriges. Eine gelungene Adaption des Paragon - Klassikers "Left with a broken heart" kann einiges, mein persönlicher Hit aber heißt "Interrupted", das ist klassischer DJ-Tanzstoff. Die DEBONAIRES waren im April auf Tour und überzeugten u.a. auch auf dem Freedom Sounds Festival in Köln, auch als Backing-Band von Susan Cadogan. An der einen oder anderen Ecke wird es mir auf dem Album zu filigran, in Summe aber ist „Listen forward“ die ideale Beschallung für den anstehenden Sommer. Es gibt 200 Exemplare in orangenem Vinyl inklusive der CD. Sir Paulchen
P. PAUL FENECH: THE F-FILES (Mutant Rock Records)
Ich mag die METEORS, primär ihre frühen Scheiben. Aber der Band gebührt grundsätzlicher Respekt – sie sind ein Zeichen für
Konsequenz und so etwas wird bei mir immer honoriert. Ich mag aber auch die Sachen von Paul – dem Kopf der Band. Bei den METEORS spielt er eine große Rolle, die wird er nach den Jahrzehnten
auch nicht mehr los. Wahrscheinlich erfreut sich die Band deshalb auch immer noch beständiger Beliebtheit. Seine Solo-Alben mag ich allerdings auch sehr und „F-Files“ sind da keine Ausnahme. Bei
diesen Platten geht Fenech mehr über den Tellerrand hinaus, nicht zu weit, denn er ist mit Haut und fehlendem Haar ein waschechter Psychobilly. Die Songs auf „F-Files“ haben die Figur Fenech
trotz zahlreicher Gäste auch wieder ganz hörbar im Zentrum, aber es klingt einfach „freier“ als die METEORS-Songs. Das ist für ihn bestimmt eine willkommene Abwechslung und für den geneigten Fan
eine ebensolche Bereicherung.
THE MOVEMENT: MOVE
THE MOVEMENT: REVOLUTIONARY SYMPATHIES
THE MOVEMENT: FOOLS LIKE YOU (Concrete Jungle Records)
Matze von Concrete Jungle hat einen neuen Fang auf seinem Label – THE MOVEMENT aus Kopenhagen. Jene Band, die vor etwa 15
Jahren noch nicht viele Leute kannten. Ich habe mir damals auf Verdacht ihr erstes Album „Move“ gekauft und war schnell überzeugt von dem Trio. So sehr, dass ich mir einen der beiliegenden
Patches auf die Jacke genäht habe. Ich kann mich noch an die ersten Konzerte von THE MOVEMENT erinnern – 3 anfangs eher starre Typen aus dem Norden, die Power für 10 gemacht haben. Concrete
Jungle legt die Scheiben anlässlich eines neuen Albums noch mal neu auf, hier mit Bonustracks versehen, die auf den Erstpressungen nicht dabei waren. Ich freue mich über ein weiteres
Lebenszeichen von THE MOVEMENT, die Band hat einiges zu sagen und macht wirklich frischen Mod-lastigen Sound. Sehr treibend, sehr engagiert, sehr punkig – sehr viel Ausstrahlung mit
entsprechender Wirkung. Und sie haben von Anfang an einen unverwechselbaren Sound serviert, der sich von Album zu Album weiter entwickelt hat. „Movement“ steht für Bewegung und damit könnte der
Name für diese Band nicht treffender gewählt sein. Man sollte sie kennen, dann wird man sie auch mögen!
V/A CONCRETE JUNGLE RECORDS: LUCKY 13 (Concrete Jungle Records)
Matze von REJECTED YOUTH hat vor 13 Jahren sein Label gegründet und damit einen guten Schachzug gemacht. Wenn
man sich die Veröffentlichungen so ansieht, die er über die Jahre rausgebracht hat, dann ist er ein sehr talentierter Mann in diesem Bereich. Er bringt alle notwendigen Fähigkeiten mit, die ein
gutes Label für mich ausmacht. Was ihm besonders hoch anzurechnen ist – während die Musikbranche in den letzten 10 Jahren immer mieser funktionierte, hat er vielen Bands ein Obdach geboten. Er
hat ein Dach für viele namhafte Bands gebaut – egal ob es die TURBO ACs sind, THE GENERATORS, ADOLESCENTS, TOTAL CHAOS oder Bands, die eher dem RnR Sektor einzuordnen sind. Die Kunst eines Labels
liegt darin, dass alle Bands gut untergebracht sind – das kommt bei Concrete Jungle deutlich zur Geltung. Schön ist auch, dass Matze immer schon ein gutes Gespür für Optik hatte, was sich u.a.
auch beim Cover dieser Geburtstags-Compilation bestätigt. Und er hat bestimmt die eine oder andere Band aufgefangen, die von anderen Labels vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen abgestoßen
wurden. Concrete Jungle meint die Sache also ernst und glaubt an die Szene. Einen besseren Support für den Underground kann man kaum bieten!
MALASANERS: FOOTPRINTS (Wolverine Records)
Folk-Punk ist für mich meist nicht unbedingt ein Magnet, weil ich finde, dass die Pioniere auf diesem Gebiet schon vor vielen
Jahren alles hervorgebracht haben, was dieses Genre zu bieten hat. Über die letzten Jahre habe ich immer wieder einen Versuch gestartet und einer neuen Band das Ohr geliehen. Bis auf Ausnahmen,
habe ich meine Vorbehalte meist bestätigt bekommen. Bei den MALASANERS hat sich die Euphorie anfangs auch in Grenzen gehalten.Der erste Durchlauf belehrte mich aber eines Besseren. Diese Band
erweckte mit einem verflixten Song bei mir einen Vergleich, der mich nicht mehr losgelassen hat – für mich klingt das so, als würde TV SMITH als Seefahrer anheuern und entsprechende Musik machen.
Die Stimme des „Bored Teenager“, aber auch der Drive des Songs lässt bei mir im Kopf immer wieder diese Parallele aufkommen. Rational betrachtet hinkt der Vergleich auf voller Albumlänge, aber
die MALASANERS hinterlassen dennoch einen Überraschungseffekt. Das Banjo-Gefiedel tritt in hellen Momenten dann schon wieder etwas nervtötend in Erscheinung, trotzdem hat die Platte das Zeug für
ein paar spannende Augenblicke.
TEAR UP: PLAYGROUND POLITICS (Rebellion Records)
Reduzierter und britischer geht es nur noch schwer. Gibt es irgendwo eine Schule, wo solche Bands rekrutiert werden? TEAR UP
sind eine weitere „alte Schule“-Band, ähnlich wie B SQUADRON oder CROWN COURT. In diesem Fall haben wir es aber wirklich mit sehr minimalistischem Image zu tun – das Schöne daran ist, dass es
weder an Druck mangelt noch sonst ein Gefühl breitmacht, dass man etwas vermisst. Wunderbarer 1-2-3-4 Straßensound, immer voll ins Schwarze. So unkreativ es manchmal klingen mag, so geil ist der
Gesamteindruck unterm Strich. Keine Frage, dass so eine Band ihr Album mit „Real Enemy“ von THE BUSINESS finalisiert. Zwar schon ca. zehntausendmal vorher von anderen passiert und bereits seit 20
Jahren ein Zeichen für Einfallslosigkeit, aber Typen wie TEAR UP dürfen das, denn sie leben es!
BOOZE & GLORY: THE REGGAE SESSIONS VOL. 1 (Pirates Press/Contra Records)
BOOZE&GLORY haben in Zusammenarbeit mit THE LONDONIANS und VESPA drei ihrer Songs
ver-jamaikanisiert. Das ist grundsätzlich eine gute Idee. Dass sie dafür 3 ihrer Hits ausgewählt haben, ist ebenso ein kluger Schachzug. Die Umsetzung ist für meinen Geschmack aber doch ziemlich
dürftig – denn das kommt alles sehr gezwungen und irgendwie hingebogen an mein Ohr. „London Skinhead Crew“ klingt in der Offbeat-Version wie ein spontanes Demo. Ähnlich wirken die anderen beiden
Tracks auf dieser 7“ auf mich. Löblich, wenn zwei Leute aus der Band große Ska- und Reggae Fans sind, aber deswegen muss man damit nicht andere Musikhörer quälen. Da hätte ich mir mehr erwartet.
WOLFPACK: LOATHE (BDHW Records)
Die Franzosen sind mit ihrem zweiten Album bei einem neuen Label gelandet. Manchmal geht so ein knochenharter Sound auch in meine Ohren, aber
der Metal-Einschlag ist mir bei WOLFPACK einfach zu sehr hörbar. Das ist mir zu heftig und da blockiere ich. Besonders, wenn dann noch irgendwelche langsamen Passagen eingebaut werden, weiss ich,
dass da jemand das falsche Revier betreten hat. Was mich am meisten stört - die Musik klingt schon sehr programmiert und „technisch“ - mir fehlt bei solchen Bands der runde Abrieb, alles sehr
starr und unbeweglich. Aber beim Cover hatten sie einen guten Künstler zur Hand.
THE CUNNINGHAMS: BREAK OUT (Steeltown Records, Contra Records, Tape Or Die)
Aus den Symbolen, die man auf dem Plattencover sieht, schließe ich eine antikapitalistische
Einstellung seitens der Band. Und den Mainstream lehnen sie auch noch ab. Und weil sie generell eine kritische Position gegenüber manchen gesellschaftlichen Entwicklungen einnehmen, finde ich den
Titel „Break Out“ sehr gut gewählt. THE CUNNINGHAMS kommen aus Dresden und spielen Streetpunk, mit hohem Wiedererkennungswert. Die Songs gehen alle sehr leicht von
der Hand, satte Refrains mit Schwung und Hinterhältigkeit. Auf der B-Seite schmeissen sie dann gegen Ende noch ein schönes OXYMORON-Cover in die Runde. So sammelt man schnell noch
zusätzliche Sympathiepunkte. Guter Beitrag für die deutsche Musiklandschaft, und ein deutliches Kontra gegen fragliche Entwicklungen - vor allem wenn bedrohliche Flugzeuge
über der Stadt kreisen.
RATRACE: HARDER THEY FALL (Steeltown Records)
Die Platte der Polen ist als Gemeinschaftsprojekt von einigen Labels erschienen, die ich jetzt nicht extra alle angeben will.
Aber allein dieser Hinweis ist eine eindeutige Klarstellung, dass wir es hier mit Unity zu tun haben. Aber keine „Unity“ in der Hinsicht, dass jeder dahergelaufene Idiot mitmischen kann, sondern
RATRACE machen auf dieser Platte schon deutlich klar, wo ihre Prinzipien liegen. Die LP ist nur einseitig bespielt, gesungen wird auf englisch und polnisch. Pause gibt es keine - vom ersten Song
an, wird hartnäckig alles rausgelassen, was Sänger Piter auf der Seele brennt. Die Gitarre ist ziemlich glatt eingespielt, in Kombination mit dem Schlagzeug ergibt das eine sehr stabile Wand. Der
Trommler spielt sich mit seinem wahnsinnigen Tempo ziemlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit, das hat mehr von einem Presslufthammer als von einem gewöhnlichen Hammer. Innerhalb der Songs wird
immer wieder mit sehr abrupten Wechseln überrascht, was die Wucht aber nicht vermindert. Diese Band ist für Leute, die wissen wie ehrlicher Hardcore klingt und keine Kapuzenpullover für 80
Euro von angesagten Bands tragen!
HAMMER & THE NAILS: S/T (Rebellion Records)
Endlich wieder ein Nachschub von den Amis, die sich gern etwas geheimnisvoll halten, was ihre Präsenz angeht. Auf dieser 12“
sind 4 neue Songs – aufrecht und kräftig gespielter Rock/Oi!-Sound. Der Sänger ist eine schöne Wucht – ich mag den eher dumpfen Sound mit den melodischen Gitarren. Schöner Midtempo Sound, der
konsequent seinen Weg geht! Längst kein Geheimtipp mehr – aus gutem Grund!
SKASSAPUNKA: ADELANTE (KOB Records)
Ich glaube, das ist das vierte oder fünfte Album der skankenden Punker aus Milano, Italien. Die Band ist extrem engagiert, klingt immer
fröhlich, kann aber auch wütende Botschaften verbreiten. Was mir auf Dauer auf den Wecker geht, ist der musikalische Aspekt. Punk mit Bläsereinsätzen neigt gern dazu, dass der
Wiedererkennungswert bedroht ist und die Songs alle gleich klingen. Die Songs in Muttersprache gehen viel runder von der Hand, auf englisch klingt das etwas geplagt – die Euphorie hält sich also
in Grenzen. Man muss den Italienern allerdings vielleicht noch etwas Zeit geben, um aus ihrer Basis jetzt etwas mehr zu machen und vielleicht schaffen sie es dann, einen eigenen Fingerabdruck zu
hinterlassen.
THE INSERTS: S/T (Hundemann Records)
Der erste Longplayer der All-Girlband aus Berlin. Die 7“ der Band hat schon viel versprechend geklungen und auf ganzer Länger kommt das
noch besser. HANS-A-PLAST muss man einfach als wichtigen Einfluss nennen, den Rest tragen die vier Damen selbst bei. Ziemlich stur runtergehobelte, knackige Gitarrenriffs, teilweise sehr hohe
Geschwindigkeit und eine mehr als geeignete Sängerin sind für mich das Markenzeichen der Band. Sie haben einen 80er Jahre-Touch, keine Frage, aber sie besitzen auch ein fieses Grinsen, etwas
Frechheit und somit genug Punkrock, um bei mir zu punkten. Sehr interessante Band, die im Moment ein Lichtblick für mehr Individualität darstellt. Auf dem Album klingen sie nochmal eine Spur
kraftvoller als auf der 7". 77er und NDW-Stimme, oder nennt man NDW jetzt langsam ADW - Alte Deutsche Welle?
SLAPSHOT: MAKE AMERICA HATE AGAIN (Bridge 9 Records)
Da ist sie, mit fast 9 Monaten Verspätung knallt uns die neue SLAPSHOT-Scheibe um die Ohren. Laut Choke kam es zu dieser
Verzögerung, da er nach dem Einsingen von 4 Songs, doch nochmal die Texte überarbeiten wollte. Na, dann... Wie der Titel des Albums schon erkennen läßt, bekommt hier wieder alles und jeder sein
Fett weg. Also wie immer bei SLAPSHOT, natürlich mit einem Zwinkern des vom Eishockey-Pucks getroffenem Auge.
Die ersten 3 Songs geben die Bostoner richtig Gas, der Drummer treibt die Band nach vorne und Choke brüllt sich die Seele aus dem Leib. Danach wird’s leicht (!) melodischer und dann mal wieder
knackehart. Immer ganz schnörkellos, keine Beatdowns, alles ganz old school. Also wie immer bei SLAPSHOT...kannste nix verkehrt machen. Starkes Album!!! Hinkel
TRUST #189 www.trust-zine.de
Wie immer ein optischer Augenschmaus, das neue TRUST. Am liebsten lese ich bei solchen Heften die Reviews zuerst, auch wenn dort viele Bands
auftauchen, die mich wenig interessieren. Aber zwischen den Zeilen kann meinereiner an dieser Stelle immer eine Menge an Infos herauslesen, wie die Stimmung gerade ist, ob es irgendwelche Trends
gibt oder etwaige Verschwörungstheorien. Das TRUST hat ein extragutes Layout, diese Individualität spiegelt sich auch im Inhalt sehr schön – das Interview mit der Foodsharing-Dame hat mir
zugesagt, gleiches gilt auch für den Beitrag mit dem Drummer der OFFENDERS (die HC-Band, nicht die italienischen Berliner). Die Kolumnen stellen deutlich klar, dass hinterm TRUST Menschen sitzen,
die Punk immer mit einem Blick über den Tellerrand hinaus leben. Das spricht für sie, auch wenn ich geschmacklich nicht alles teile, was man hier geboten bekommt. So ist der Sinn eines Fanzines
eindeutig erfüllt.
ABBRUCH: LIEBER LINKSEXTREM (Abbruch Records, Impact Records)
Ein sehr militantes Coverbild lässt gleich erahnen, worum es auf dem neuen ABBRUCH-Album textlich gehen wird.
Ernsthafte Zeiten sind längst angebrochen und die D-Punks haben eine Menge, das sie textlich gegensteuern lässt. Warum der Punk auf der Rückseite der Scheibe unbedingt Elfenohren haben muss, muss
man hoffentlich nicht verstehen. Das „GEMA kacken“ Emblem macht die Band schon wieder höchst sympathisch. Musikalisch wirbelt sich das Trio durch wilden, schnellen D-Punk, der ohne Vorwarnung
gerne im Stil etwas variiert. Die Texte haben die vermutete Schwere, durch die Musik und die lockere Art insgesamt, kommt das alles aber nicht mit der oft vorhandenen „Stock-im-Arsch“-Mentalität
rüber. Beeindruckend, wie abwechslungsreich 3 Musiker ein Album mit 15 Songs gestalten können. Sie setzen viel auf Einzel- und Gruppengesang und lassen ihr Art von Punkrock sehr reduziert, was
das Songwriting angeht. Dennoch klingt die Scheibe zu keiner Minute langweilig, sondern kann problemlos auf einmal durchgespielt werden.
WAR ON WOMEN: CAPTURE THE FLAG (Bridge 9 Records)
Das grandiose Hardcore-Label glänzt vermehr mit Bands, die gar nicht so richtig ins typische Bridge 9-Schema passen. Einzig
der Tatsache, wenig Müll zu veröffentlichen, bleibt man sich treu. WAR ON WOMEN sind da keine Ausnahme, diese HC/Punkband aus Baltimore besteht zwar nur aus gut 50% aus Frauen, hat aber ihre
Vision schon zum Großteil auf einen femininen Blickwinkel aufgebaut. Dazu wütender Punkrock, der echt sehr gut und frisch klingt. Klingt im einen Moment sehr vertraut und dann dennoch wieder ganz
neu. Dazu – na klar – weiblicher Gesang, der auch nicht von schlechten Eltern ist. Gut gemacht!
GBH: MOMENTUM (Hellcat Records)
Colin und seine Straßenhunde sind wieder einmal ins Studio gegangen – „Momentum“ ist das Ergebnis. Wenn man bedenkt, dass es die Band jetzt
schon 40 Jahre gibt und diese 12 Nummern von Leuten im daraus resultierenden Alter geschrieben wurden, dann ist das der Killernieten-Beweis, dass Punk definitiv „a way of life“ ist. GBH haben
nicht an Tempo verloren, sie sind schnell, klingen angriffslustig und sind mit messerscharfen Gitarrenriffs bewaffnet. Nicht weiter verwunderlich, dass diese Pioniere des HC-Punks einfach
„original“ klingen und neuere Bands so einen Sound nie so glaubwürdig rüberbringen würden, wie GBH selbst. „Momentum“ klingt nicht nach einem schwachen Versuch, um die nächsten Monatsmieten für
alternde Punks zu sichern, sondern viel mehr danach, das nächste Haus zu besetzen und ordentlich Krawall zu machen.
BUSTER SHUFFLE: I´LL TAKE WHAT I WANT (Burning Heart Records)
Das Vorgänger-Album “Naked” hatte mich etwas enttäuscht und ich dachte, dass die Band nicht mehr an ihre frühen
Werke herankommen wird. Entsprechend habe ich mich seither nicht sehr intensiv mit dem Treiben von BUSTER SHUFFLE beschäftigt. Umso überraschter war ich nach den ersten paar Songs auf „I´ll Take
What I Want“. Mit dem Staffordshire Bullterrier auf dem Cover hat Jet Baker gleichmal meinen Nerv getroffen und das Album erzeugte schnell wieder das alte BUSTER SHUFFLE-Feeling, das sich damals
bei „Our Night Out“ ausgebreitet hatte. Der Sänger/Pianist begleitet fast erzählend durch das neue Material, sehr entspannt und bissig zugleich. Auf Tonträgern wie „I´ll Take What I Want“ ist
London einfach am schönsten. Rockig-poppiger Rudeboy-Offbeat, der den Leuten wieder mehr Sicherheit in Stilfragen geben wird. Sehr starkes Werk, dass die Ernüchtung nach „Naked“ wieder gut
kaschiert!
RUDE RIOT: DISHONOR (Anachronism Records)
Meines Wissens das zweite Album, dieser Oi!-Core Horde aus der Ukraine. Der raue Wind in diesem Land macht sich auch in der Musik
bemerkbar. Ein wuchtiger Cocktail aus Hardcore und Oi-Musik – kommt sehr deftig, aber nicht metallisch. Ein Cover von WARZONE lässt sich da nicht vermeiden, ich denke, dass die Nummer bei
Konzerten das Lockmittel für Bühnen-Invasionen ist. Ein wenig eingängiger könnte sich das Songwriting noch gestalten – es gibt einige Bands von diesem Schlag. Aber die Band zeigt Standhaftigkeit
und das macht sich in den Nummern bemerkbar. Im Gegensatz zu manch mitteleuropäischen Bands werden die ihre Texte auch noch wirklich erleben.
BAD HABIT: S/T (Anachronism Records)
Erster Pluspunkt – die Ungarn scheinen einen Zeichner an der Hand zu haben, den man in der Sene noch nicht so kennt. Sehr schönes
Coverdesign, das auf den ersten Blick eine Punkband vermuten lässt. Hinter BAD HABIT versteckt sich allerdings vor allem auf der A-Seite sehr waschechter Two-Tone/Ska-Sound. Diese Songs hätten
sich auch problemlos als Auflockerung in die frühen Oi!-Sampler einreihen lassen. Leider fast 40 Jahre zu spät, aber egal – denn diese Kapelle hat genug Potential, auch jetzt noch Aufmerksamkeit
zu bekommen. Zweiter Pluspunkt ist der mehr als talentierte Gesang, der einen mehr als willkommenen Kontrast zu anderen Bands dieser Gattung bietet. Klingt sehr britisch, klingt sehr
unterhaltsam. Bei der B-Seite flacht es bei 1-2 Songs etwas ab, aber unterm Strich ein ausgesprochen empfehlenswertes Album, das nicht zuletzt durch diesen urigen Sound einen weiteren Pluspunkt
erntet. Die Scheibe glättet Ecken und Kanten in jeder Sammlung.
DEALER´S CHOICE: WAR IN MY HEAD (Anachronism Records)
Das erste offizielle Lebenszeichen von DEALER`S CHOICE aus Wien, die es erst seit 2016 gibt. Endlich ein neuer,
ernstzunehmender Stern am Wiener Streetpunk-Himmel. Der Titeltrack brennt sich furchtbar schnell in den Schädel ein, aber auch die anderen 3 Nummer auf dieser 7“ müssen sich nicht verstecken.
Kraftvoller-Ami-Streetpunk aus Wien, der die Szene bereichert und noch dazu von Leuten gemacht wird, die hinter ihrem Ding stehen. Schöne Chöre, viel Energie und jede Menge Herzblut! 100% real
music!
HATEFUL: REASONS TO BE HATEFUL/DIAMOND AMONG THE GOAL (Steeltown Records)
Während viele Leute ihr Hörvermögen an maximal 50% leistungsstarken Bands verpuffen lassen, gibt es
seit einigen Jahr in Glasgow einen wahren Schatz. HATEFUL habe ich seit ihrem ersten Output in bester Erinnerung, weil sie einfach ungeheuerlich sympathische Musik machen. Sehr originaler
Punk-Sound von einer Band, die gerne mehr Zeit im Proberaum verbringt, als vor dem Spiegel um sich auffällige Frisuren zu verpassen. Bei HATEFUL-Songs hat man oft das Gefühl, dass die Stimmung
innerhalb einer Nummer nicht mehr gesteigert werden kann – aber dann setzen sie noch eins drauf. Zwei ihrer Alben gibt es jetzt auf einer CD – für alle, denen diese Band bisher verborgen
geblieben ist, weil sie keine Kohle in Social-Media-Marketing investieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen!
THE GREAT ESCAPE: S/T (TGE Records)
Linzer Hardcore-Band, von der ich bis dato noch nie etwas gehört habe, obwohl diese 7“ schon etwas älter ist. Schön in DIY-Manier
produziert und absolut stark! Das Quartett wütet sich stur durch 8 Songs, wenig Zeit für Entspannung und viel Herzblut für guten Hardcore, wie er in den 80ern häufig in den USA fabriziert wurde.
Eine sehr gute österreichische Alternative zu den leider aufgelösten DETERMINATION. Auf 330 Stück limitiert, keine Rücksicht auf Verluste und auch textlich berufen sich THE GREAT ESCAPE auf die
alte Schule. Sehr authentisch und ausdrucksstark – unbedingt supporten!!!! www. thegreatescape.at
SCANDAL: ON A ROLL (Spirit Of The Streets Records)
Während viele deutsche Musiker ihr großes Glück in Berlin versuchen, haben die Kollegen aus Rumänien gleich den Schritt
nach United Kingdom gewagt, um am ursprünglichen Ort des Geschehens, dem Streetpunk zu fröhnen. Ähnlich verlief doch auch der Werdegang von BOOZE&GLORY, oder? SCANDAL haben gibt es
mittlerweile 20 Jahre, sie sind einige Zeit im Dornröschen-Schlaf versunken und starten jetzt anscheinend so richtig durch. Mit dieser Scheibe im Gepäck, haben sie ganz guten Reiseproviant in der
Tasche – ziemlich saftiger singalong-Streetpunk. 4-5 Durchläufe hintereinander hat der Silberling durchgehalten – kein schlechter Schnitt in Zeiten, wo es unzählige solcher Kapellen gibt. Mangels
abgedruckter Texte kann man nur die Titel der 10 Songs interpretieren, da dürfte wenig gesungen werden, was die Welt vorher noch nicht gehört hat. Aber musikalisch sind sie stark – sehr
melodisch! Kein Wunder, dass sie bei SOTS unter Vertrag genommen wurden, solche Fische gehen einem nicht alle Tage ins Netz! In Anbetracht der relativ mageren Diskografie, die SCANDAL bisher zu
bieten haben (eine handvoll Outputs in 2 Jahrzehnten) dürften sie nach dem alten Sprichwort „Kommst Du selten, wirst Du gelten“ ihr Dasein feiern – gut gemacht!
THE DETAINED: THE BEAST (Contra Records)
Yeah, ein ganzes Album von THE DETAINED, die Single hat mich schon sehr überzeugt. So sehr, dass ich mir sogar ein T-Shirt zugelegt
habe. Berlin gilt als großer Magnet für irgendwelche Richkids, die es sich dank regelmäßiger Geldüberweisungen der Eltern leisten können, in der Großstadt einen auf alternativen Punkrock zu
machen. Bands wie THE DETAINED machen es solchen Leuten bestimmt unbequem und das ist eine gute Sache. Sehr sturer Straßenpunk, der Berlin wieder ungemütlicher macht. Schleppend und wenig
beweglich, dennoch sehr viel Charme, den diese 10 Songs versprühen. Der Sänger plagt sich gekonnt durch die 10 (stellenweise flotteren) Midtempo-Nummern. Kein langes Gerede…zack, zack auf den
Punkt gebracht.
HIGH SOCIETY: FEAR OF FREEDOM (Steeltown, Contra, Longshot, Anachronism)
Wenn sich die HIGH SOCIETY die Ehre gibt, den ersten Longplayer zu veröffentlichen, dann bildet sich
eine ganze Schar an Plattenlabels. Alle wollen am großen Kuchen mitnaschen und bieten eifrig ihre Dienste an. So ist das einfach in der Promi-Szene – heiß umkämpfte Stars. Gerüchten zufolge
hätten auch Unternehmen wie Warner Bros und Sony gerne die Chance genützt, sich zu prostituieren, aber die Dresdner Punks haben arrogant abgelehnt. Die Elite bleibt lieber unter sich und gibt
sich nur mit der Elite zufrieden. Aufgrund des internationalen Erfolgs wird nur noch auf Englisch kommuniziert – zumindest in den Songtexten und das steht der Band sehr gut. Überhaupt kann hier
von sattelfestem Streetpunk die Rede sein, der einen anständigen Ritt durch UK bis nach Amerika ohne Probleme durchhält. Sehr standhafter, kraftvoller Sound – ohne Viagra, dafür mit zwei
Gitarren, die sich perfekt ergänzen. Schönes, zeitloses Album für die unteren 10.000.
STOMPER 98: ALTHERGEBRACHT (Contra Records)
Während dem Hören der neuen Platte arbeite ich gerade mit 2 anderen Freunden der Band an einem ausführlichen Interview. STOMPER
98 sind eine der wenigen Bands, wo mich bei neuen Aufnahmen so etwas wie jugendliche Vorfreude erfasst. Ganz unabhängig von dem, was über die Band so geschrieben, erzählt und diskutiert wird,
habe ich STOMPER seit ihrer Gründung mit verfolgt und schon früh in mein Herz geschlossen. „Althergebracht“ als Titel könnte es treffender nicht ausdrücken – auf diesem Album kommen einige
Aspekte sehr schön zur Geltung: viele Songs transportieren ganz charmant einen 80er Jahre Flair. Der motivierte Gesang, wunderschön verwaschene Gitarren, die ziemlich hinterhältige Melodien
verankern. Man kann von einer starken Leistung sprechen, dass gleichzeitig aber auch zeitgemäßer Spirit mitspielt und deutlich macht, dass STOMPER 98 sich nicht kleinkriegen lassen. Die Songs
bewegen schon nach kurzer Zeit und sorgen für einen enormen innerlichen Antrieb. Vielleicht liegt´s daran, dass die Aufnahmen in den USA gemacht wurden, vielleicht liegt es an Lars Frederiksen
als Neuzugang in der Band? Bestimmt liegt es daran, dass STOMPER 98 das tun, was sie am besten können – sie machen lebendige Musik. „Althergebracht“ ist wie ein verstaubter, kaputter Karton mit
Dr. Marten´s-Aufdruck in einer dunklen Kellerecke. Darin lauern aber keine vergammelten Boots aus alten Tagen. Es findet sich glänzende Neuware, die nur darauf wartet, zum Einsatz zu kommen. Dass
wird manchen nicht schmecken. Da werden Zähne knirschen. Allein damit haben sie die Pflicht der Subkultur wieder einmal erfüllt.
GEPFLASTERT MIT GOLD: BUCH (THORSTEN DIETZE)
Mittlerweile das dritte Buch, das Thorsten von den CRUSADERS geschrieben hat. Thorsten ist bei diesen Projekten in zweierlei
Hinsicht vom Fach – durch seinen Beruf ist er ein sehr guter Schreiber, durch sein persönliches Dasein in der subkulturellen Szene kommen seine Buchinhalte sehr lebendig und echt rüber. Er lässt
in diesem neuen Roman wieder Dinge einfließen, die für ihn als völlig normal gelten. Details über Fußball, bestimmte Bands kommen vor und das macht seine Bücher sehr greifbar. Ich bewundere, mich
welchen Details er die Geschichte ausschmückt, die mal wieder in England spielt – dennoch verliert er nie den Faden. Hier gibt es szenetechnische Nischen, soziale Umstände vermischt mit
Befindlichkeiten der Hauptperson Sean. Erlebnisse, die die im England der späten 70er wahrscheinlich viele Menschen hatten. Das Buch liest sich flüssig, die zwischenmenschlichen Dialoge lockern
das ganze sehr gut auf – coole Story!
BROKEN HEROES: MAKE OI! GREAT AGAIN (Step 1 Music)
Yes, die Herren aus New Jersey sind verlässlich – ohne großes Theater hauen sie mal wieder ein neues Album heraus – völlig
aus dem Bauch heraus! Ich mag ihre frühen 7“-Veröffentlichungen auf Headache Records sehr gerne, und auf voller Länge machen sie sich bei mir auch nicht unbeliebt. 13 neue Titel im bewährten
NJ-Style, für Freunde von THOSE UNKNOWN, NIBLICK HENBANE und ähnlichen Handwerkern ist diese Scheibe ein passabler Nachschub im Plattenschrank. Die 13 Titel auf „Make Oi! Great Again“ machen die
Bewegung wirklich wieder großartig. Keine tiefsinnigen Texte, sondern reduziert und dafür mit einer Extraportion Potenz in der Musik. Stellenweise weichen sie bewährten Oi-Punk minimal ab und
bringen noch mehr Schwung in die Bude! Und wer seine Songs dem leider verstorbenen Micky Fitz widmet, kann nicht schlecht sein!
TRUST #187/6 www-trust-zine.de
Das neue TRUST bekommt für das ausführliche Interview mit CRUCIAL RESPONSE RECORDS ein großes Lob, das bringt richtig Farbe in das dunkel
gehaltene s/w-Magazin. Aber auch diesen Style finde ich gut, ich mag die kreativ-kühle und dennoch sympathische Schreibweise, einige Bands interessieren mich keineswegs, aber ich mag die Art, wie
dieses Heft geführt wird. In manche Stilrichtungen will ich meinen Horizont gar nicht erweitern, weil mich manche Musik nicht bewegt, aber im Schatten des TRUST kann man sich das dennoch
durchlesen und wird dabei zumindest optisch beeindruckt, wenn der eigentlich Inhalt manchmal für mich nicht so spannend ist. Punk und Hardcore sind zwei sehr weitreichende Begriffe und das TRUST
findet immer einen ganz subjektiven Zugang dazu, das mag ich!
B SQUADRON: SONS OF TIGERS (Rebellion Records)
Erster Longplayer dieser Retro-Oi! Band aus Leiceister – schwerfälliger Straßensound, der ganz klar mit den frühen Bands aus
den 80ern Jahren liebäugelt. Aber das wirkt nicht peinlich, sondern zum großen Teil sehr authentisch. Die Gitarrenriffs sind bewusst simpel gehalten, der Sänger hat sich die erste LP von LAST
RESORT anscheinend unter den Kopfpolster gelegt. Mich würde interessieren, ob das aufnahmetechnisch viel Aufwand ist, fast 40 Jahre später, eine solche Atmosphäre zu schaffen. Ganz nette
Ergänzung, zu den Originalen!
SICK OF SOCIETY: PERLEN VOR DIE SÄUE (Calygram Records)
SOS tümpeln schon seit über 20 Jahren in der deutschen Underground-Szene herum – so richtig an der Oberfläche waren
sie nie, aber das macht doch auch den Underground aus. Anscheinend gab es im Line-Up eine markante Umbesetzung, die der Dynamik der Band aber keineswegs schadet. Die Band klingt sehr frisch,
scheppernder Punkrock mit deutschen Texten. Schöne DIY-Kante und jede Menge Wut, die aber von mitsingtauglichen Chören kaschiert wird. Schönes, klassisch-zeitloses Album von einer Band, die sich
nicht durch irgendwelche angesagten Strömungen von ihrem Weg verdrängen lässt. Am Schluss werden selbst Anarcho-Punx dann noch etwas melancholisch und lassen mit ruhigeren Tönen ihr
widerständiges Werk ausklingen, die Attitüde bleibt!
DDC: UNITE & CONQUER (Rebellion Records)
Atlanta ist als zuverlässiger Fleck auf der Landkarte bekannt, wenn man sich auf die Suche nach anständiger Musik geht. DDC
trüben die Idylle nicht – die Aufmachung des Albums wirkt unspektakulär, die Songtitel könnten etwas Gähnen verursachen, aber dafür ist der Sound umso erfreulicher. Wir haben es hier mit einem
sehr gekonnten Mix aus Streetcore, Melodie und PunknRoll zu tun. Ich weiss, diese Beschreibung klingt auch wie „schon tausendmal gehört“, ich bin selbst müde davon. Aber DDC klingen wirklich
„anders“, als die anderen Bands, die so beschrieben werden. Rockige Gitarrenriffs und ein fähiger Sänger mit gutem Personal im Rücken. Lohnt sich, dass man da einmal reinhört.
MOSCOW DEATH BRIGADE: BOLTCUTTER (Fire & Flames)
Die ersten Streiche dieser militanten Russen habe ich noch mit Spannung verfolgt – haben sie musikalisch und
image-technisch schon einen sehr speziellen Weg gewählt. An vielen Ecken ist der Name MOSCOW DEATH BRIGADE gefallen – ohne fette Promoagenturen oder Labels mit finanziellem Background, ist das
durchaus eine Leistung in der heutigen Zeit. Ich fand ihren musikalischen Mix auch durchaus interessant, ihre Wurzeln aus dem Hardcore waren nicht zu überhören. Bei „Boldcutter“ haben sie sich
aber noch einmal ein wenig von den Roots entfernt und lassen noch exotischere Töne in ihre Songs reinspielen. Das lässt mich musikalisch erstmal ernüchtern, denn das klingt jetzt leider viel
steriler, als die früheren Werke. Wahrscheinlich ist das aber der Weg, den die Band einschlagen will – sie wird damit bestimmt nicht überall enttäuschen. Mir erscheint diese Veränderung eine Spur
zu rasant – der typische MDB-Sound ist nicht mehr so da, verschiedene elektronische Elemente versalzen da ein wenig die antifaschistische Suppe.
HIJACK BROADCAST: SMALLTOWN PARANOIA (Salt City)
Die Gesichtszüge der Dame auf dem Cover unterstreichen den Titel dieses Albums – wird man in Halle/Saale leicht paranoid?
Ich kann es nicht sagen und einen gleichnamigen Song sucht man auf dieser CD vergebens, sodass die Auflösung offen bleibt. Ebenso unerklärlich ist es, warum sich HIJACK BROADCAST als Projekt
bezeichnen, denn sie klingen für mich wie eine gut zusammengespielte Band, die sich dem Punkrock verschrieben hat. Und zwar sehr hinterhältigem Punkrock, der schwer kategorisierbar ist. Das macht
die Sache schon mal positiv – 10 bretternde Songs, schön abgefuckt, aber nicht kaputt. Englisch wird gesungen, das Trio schrubbt sich unbeeindruckt durch ihr Programm, ohne Gipfel und ohne Täler.
Ich mag die Art von Punk, wo nicht zu dick aufgetragen wird. Sie werden wohl nie als Bandname auf einer H&M Kollektion enden. Gratulation!
GRADE 2: BREAK THE ROUTINE (Contra Records)
Die englische New Breed mit dem ersten Longplayer. Newbies hatten früher in der Szene nicht immer einen so freundlichen Empfang
genossen, wie dieses Trio. GRADE 2 haben aber von Anfang an gezeigt, dass sie ernsthafte Absichten haben und für anstandsloses Auftreten gesorgt. Über die letzten Jahre wurden sie von der älteren
Generation immer wieder an der Hand genommen und haben sich die Platten der Wegbereiter offenbar lange genug angehört, um die passende Basis für ihr eigenes Ding zu finden. Zackiger Oi! Oi! Sound
mit wachsender Selbstsicherheit.„Break The Routine“ ist das Ergebnis von gut gemachten Hausaufgaben, die Songs haben die richtige Länge und fast immer den passenden Pfiff. Selbst ohne
Hintergrundwissen zur Band ist das jugendliche Flar von GRADE 2 deutlich zu hören auf diesem Album. Gefällt mir sehr gut, was GRADE 2 da so treiben - Klassenvorstand Hechti kann stolz auf den
frischen Jahrgang sein.
KING OF FOOLS: WOULDN´T KNOW ME (Contra Records)
Das ist das zweite Projekt des BOOZE&GLORY Gitarristen Liam, der seinem Haupthaar schon vor einiger Zeit mehr Auslauf
gegönnt hat. Dem Cover nach zu urteilen, befürchtete ich ein sentimentales Rockabilly-Gemurkse, das mich wahrscheinlich nervlich belastet hätte. Aber Liam kratzt die Kurve richtig gut, er hat
sich für dieses Unterfangen zwar einen Kontrabass geschnappt, bleibt aber dennoch beim Punkrock und unterscheidet sich entsprechend gar nicht so sehr von seiner ursprünglichen Referenz. Er kann
wirklich gut singen und diese 3 Songs belehren mich in aller Härte, dass man nicht zu schnell urteilen sollte. Ein gewisser RocknRoll-Einschlag ist merklich vorhanden, aber alles im Rahmen des
guten Geschmacks.
COLDSIDE: FUCK YOUR SYSTEM (Strenght Records)
COLDSIDE aus Florida setzt sich au sein paar sympathischen Herren zusammen, die sich voll und ganz dem Hardcore verschrieben
haben. Sie wissen, dass das mehr zu bedeuten hat, als Kapuzenpullover und 30 Liter Farbe unter der Haut. Sehr schön eingespielte Songs, stellenweise für meinen Geschmack fast etwas zu sauber.
Aber es hält sich noch im Rahmen, die Lieder haben gute Aufschlagskraft, teils altbekannte HC-Riffs, die an die Platzhirsche der Szene erinnern. Kein Wunder, dass sie bei Roger Miret auf dem
Label sind…“Fuck Your System“ hätte auch genauso ein Album von AGNOSTIC FRONT sein können, denn die sind bei der Auswahl an Coversongs auch nicht sonderlich kreativ. Bei COLDSIDE wurde SLAPSHOT
gecovert, nahe am Original – sonst gibt es nichts Negatives zu berichten!
AKNE KID JOE: Haste nicht gesehen (Kidnap Music)
Menschen, die in den 90ern schon alternative Musik wahrgenommen haben, werden die Parallelen erkennen, die sich hinter dem
Bandnamen verstecken. Hoffentlich vergreift sich aufgrund des Coverdesigns einmal ein Volksmusik-Anhänger irrtümlich an dieser Platte, dann lernt er Reinstkultur kennen. AKNE KID JOE machen
minimierten Punkrock mit deutschen Texten, vor 15 Jahren wäre das im Sumpf des Deutsch-Punk-Booms wahrscheinlich als „nicht genügend“ gehandelt worden, heute ist weniger wieder mehr. Und auch bei
mir punktet dieser reduzierte Sound spätestens auf der B-Seite. Die Frage, wie lange diese Art von Humor und die damit eingehende Interpretation von Punkrock Neugierde erweckt, kann ich im Moment
nicht beantworten. Aber in dieser Form kann man durchaus von Hörgenuss sprechen.
STRG Z: S/T (Still Unbeatable Records)
Relativ neue Punkband aus Deutschland, die relativ alten Punkrock für die ganze Welt macht. Ich habe im Vorfeld nur gelesen, dass da
jemand von ZACK ZACK dabei ist, da aktivierte sich mein Sensor für Neugierde. Was soll ich sagen? Mittlerweile bestimmt 5 mal gehört, niemals satt geworden. STRG Z zäumen den Gaul von hinten auf
– sie machen keinen Gebrauch von irgendwelchen szeneinternen Punkrock-Trends, die sich in den letzten 20 Jahren durchgesetzt haben. Sie spielen klassischen Punkrock, aber so klassisch, dass er
schon wieder frisch und neu klingt. Wie das funktioniert? Keine Ahnung, vielleicht weil sie einige ganz leicht wave-lastige RocknRoll Spritzer einbauen. Aber nur sehr unterbewusst und
zurückhaltend. Kampfbereite Haltung, ohne peinlich zu sein, hinterfragend ohne den Zeigefinger zu verwenden. Sehr charmant und dennoch rotzfrech. Das ist wirklich gelungen. Ein Album, das so auch
problemlos vor 30 Jahren erscheinen hätte können und die Verdächtigen hätten kein Alibi – mit dieser Platte halten sie sich verdammt nahe am Tatort „Punkrock“ auf. Ich muss mir die 7“
besorgen!
LIONHEART: WELCOME TO THE WEST COAST II (BDHW Rec.)
Bay Area Hardcore, das könnten die kleinen Brüder von BLOOD FOR BLOOD sein. Das bedeutet in erster Linie natürlich auch
Musik mit Härtegrad “Stahlbeton”, aber mehr Dynamik. Die Songs sind frecher, sie sind nicht so schwerfällig und besitzen dennoch volle Aufschlagskraft. Der erste Song „Cali Stomp“ war mir gleich
sehr sympathisch, denn das zeigt, dass die Band eine gewisse Hingabe zu dem Sound pflegen, den sie spielen. Schöne Gang-Vocals, kein großer Schnickschnack. 10 Songs – auf den Punkt gebracht und
dann ist wieder Ruhe. Würde es das Album auf Rezept geben, sollte man eventuell Magenschutz dazu einnehmen, denn an der Westküste wird schwer verdauliche Kost serviert.
THE BLOODSTRINGS: BORN SICK (Wolverine Records)
Das norddeutsche Quartett mit ihrem zweiten Album, das schon am Cover verrät, wer die zentrale Rolle in der Band spielt – die
Sängerin! Damit hebt sich die Band auch gleich ein wenig von der restlichen Population im Punkabilly-Bereich ab. Völlig unbeirrt spaziert sie mit ihrer verführerischen Stimme durch das Album.
Ganz egal, ob die Musik stampfend-schneller Billysound ist oder ob es sich um eine eher schleppende Nummer handelt. Letzteres kommt auf „Born Sick“ immer wieder vor, es scheppert also nicht von
Anfang bis Ende durchgehend im Höchsttempo. Man versucht sich auch in der Muttersprache, auch das klappt gut – da haben sich andere Bands dieses Genres schon viel mehr blamiert. Fazit – die Band
lebt in erster Linie von der Sängerin, die dem Produkt den nötigen Reiz verleiht. Ansonsten wären THE BLOODSTRINGS eine jener Bands, die einfach mal so ihr Glück versuchen.
JAMIE CLARKE´S PERFECT: HELL HATH NO FURY (Wolverine Records)
Jamie Clarke ging ein paar Jahre durch die Schule der POGUES, das ist eine Referenz, auf die man ruhig etwas
stolz sein kann. Zusätzlich dürfte er aber auch ein paar andere Platten in seinem Regal stehen haben. Kaum zum glauben, dass jemand den Bogen vom Folk zum Rocknroll und sogar ansatzweise zum Punk
so schön spannen kann. Die versoffene Stimme besitzt mehr als nur Charme und man merkt, dass Jamie Clarke ein geborener Musiker ist. Die Songs klingen einfach nach Herzblut und völlig
unverkrampft. Das spiegelt sich hörbar in der hohen Dichte an Hits auf „Hell Hath No Fury“ – sehr mitreissend, animierend und abwechslungsreich. Dennoch kompakt im Abgang. Coole Scheibe, etwas
abgelutschtes Coverdesign, aber altbewährt funktioniert einfach am besten. Ein instrumentales Stück ist auch zu hören – noch ein Hinweis, dass hier jemand „Oldschool“ unterwegs ist. Starkes
Album, wenn jemand etwas zum Frisches zum Aufpushen sucht!
THE MAHONES: 25 YEARS OF IRISH PUNK (Wolverine Records)
Die trinkfesten Herren aus Kanada sind als Platzhirsche in ihrem Metier bekannt. Ein Platz am Stammtisch jeder
Folk-Punk-Runde ist stets für sie reserviert. Wilder als traditionellen Folkbands und somit für die Rebellen der Neuzeit gut geeignet. Sie sind keine Konkurrenz zu den REAL MCKENZIES, denn mit
ihnen sind sie schwer vergleichbar. Das zeigt sich auch sehr deutlich bei der Ansammlung dieser 25-Jahres-Scheibe. Sie spielen einen unverkennbaren Mix aus dem Bereich Folk und Punkrock,
schwungvoll und konsequent. Ein paar Klischees waren immer ein wichtiger Teil dieses Genres und THE MAHONES besitzen alle Argumente, um auch davon Gebrauch zu machen. Da geht es um Alkohol, da
geht es um Whiskey im Speziellen…da verneigt man sich vor Bands wie den STIFF LITTLE FINGERS oder den UNDERTONES. Von beiden Bands wäre vielleicht eine andere Songauswahl etwas kreativer gewesen,
aber wie war das noch einmal mit den Klischees? Eine Best-Of Scheibe mit all den bekannten Eckdaten.
V/A SAVING SOULS (Wolverine Records)
Ein Vierteljahrhundert hat Sascha Wolff mit seinem Label schon auf dem Konto – allein dafür muss man ehrlich gratulieren. Ich kenne
Wolverine schon seit sehr langer Zeit und finde es immer schon interessant, welche Labelpolitik hier verfolgt wird. Auch wenn die Bands stilistisch etwas variieren, hat Sascha mit seiner
Plattenfirma ein stabiles Obdach für viele gute Musik erbaut. Punkrock steht in der Mitte als tragende Mauer, drumherum ein wenig Ska, ein wenig Swing, seine Coversong-Compilations, ein wenig
Billysound und auch Folk hat Platz in seinen 4 Wänden gefunden. Also doch recht unterschiedliche Genres, die unter dem Banner „Wolverine“ aber ein zugängliches Gesicht bekommen haben. Dieser
Konsequenz und diesem Handeln gebührt eine Menge Respekt – auch wenn mich nicht alle Bands im Detail hinter dem Ofen hervorlocken können, bin ich von dem Engagement und dem Gefühl fasziniert, wie
Sascha Wolff sein Wolfsrudel anführt. Da kann man sich schon mal einen zum halbrunden Geburtstag einen Sampler gönnen und die neueren Kandidaten ind er Diskografie zum Tanz aufspielen lassen.
ROADSIDE BOMBS: RISE UP (Pirates Press/Chapter 11 Records)
Neues Album von den Ami-Streetpunks, die aber eher in einer idyllischen Wohngegend ihre Kreise ziehen, als in
einem dunklen Viertel mit finsteren Gestalten. Textlich hauen sie stellenweise zwar ordentlich auf den Tisch, aber musikalisch ist das eher weicher Asphalt statt harter Beton. Melodien haben sie
ein paar gute auf Lager, aber spätestens auf halber Strecke fehlt mir bei dieser Band einfach der nötige Zund. Selbst nach dem zweiten Anlauf vermisse ich den Kick dieser Scheibe und das „Rise
Up“ ist eher ein Fehlstart. Ist mir zu belanglos – zumindest auf Albumlänge. Auf „kleinen Platten“ machte die Band einen Eindruck, der viel, viel besser war. Leider kein besonderes
Output.
BACKTRACK: BAD TO MY WORLD (Bridge Nine Records)
Bei BACKTRACK handelt es sich um Nostalgiker – Kapuzenpullover, kurze Hosen, der typische NYHC-Gitarrensound und jede Menge
Wut. Textlich wird viel kritisiert und ordentlich Dampf abgelassen. Nicht ohne Grunde hat diese Band jede Menge Jünger um sich geschart und eine treue Gefolgschaft an ihrer Seite. Der Sänger
brüllt sich auch auf „Bad To My World“ die Seele aus dem Leib, auch das Coverdesign unterstreicht wieder einmal, dass die 90er Jahre ihre Spuren hinterlassen haben. Im Falle einer Hardcore-Band
ist das ein Qualitätsmerkmal, auch wenn auf dem neuen Album ein paar Fetzen gegenwärtiger Eigenschaften dieses Genres mitspielen. Sehr direkte Songs, keine Verschnaufpause – eignet sich wunderbar
als Soundtrack beim Sport. Vorausgesetzt, man ist nicht Mitglied im örtlichen Schachverein.
VAL SINESTRA: UNTER DRUCK (Concrete Jungle)
VAL SINESTRA sind aus Deutschland, machen textlich von ihrer Muttersprache Gebrauch und haben einen ganz eigenen Sound auf Lager.
Das ist nicht wirklich Punk, sondern viel mehr eine Mischung aus neu interpretiertem Hardcore und RocknRoll. Kritisch sind sie, diese 4 Typen und sie lassen sich nur schwer in eine Schublade
packen. In die Texte dürften sie viel Zeit investieren – der Vergleich zu KRAFTKLUB ist für mich nachvollziehbar, das merkt man auch an den spritzigen Gitarrenriffs, aber im Vergleich zu dem
Chemnitzer Indie-Rockern werden VAL SINESTRA immer ungemütliche Zeitgenossen bleiben. Das finde ich nicht schlecht!
POPPERKLOPPER: WOLLE WAS KOMME (Aggressive Punkproduktionen)
Zum Glück gibt es für solche Bands seit einigen Jahren mit „Aggressive Punkproduktionen“ auch ein passendes
Label – die Bonner Band gibt es schon verdammt lange und ich habe sie immer nur am Rande verfolgt. In der Blütezeit von der Hochzeit des typischen D-Punks zählten sie gewiss zum oberen Drittel.
Zwei Drittel der Bands aus dieser Zeit gibt es längst nicht mehr, umso schöner ist es, wenn man auf „Wolle was komme“ hörbar beweist, dass man in Würde älter geworden ist. Älter – aber nicht alt
– denn das Trio hat noch jede Menge zu sagen, hat ihren Drive von damals sehr gut ins Jahr 2017 transportiert und so eine gute Platte geschustert. Der Name „Popperklopper“ ist natürlich längst
überholt, Popper gibt es schon lange nicht mehr. Aber zum Glück gibt es Bands, die den Bereitschaftsdienst übernehmen, falls doch ein Revival dieser Bewegung in die Gänge kommen sollte. Die
deutsch gesungenen Songs auf der Scheibe sind merkbar in der Überzahl, das steht der Band auch viel besser – textlich können sie mit den ganzen neumodischen Studentenpunks problemlos mithalten
und den richtigen Zugang zur Musik haben sie sowieso. Dirk von SLIME erweist seinen Respekt in der Rolle des Gastsängers – wenn man bedenkt, dass für die POPPERKLOPPER damit bestimmt ein
Jugendtraum in Erfüllung gegangen ist, dann merkt man erst, wie alt Punk mittlerweile wirklich geworden ist. Komme, was wolle – Punk wird es ewig geben.
ÜBERGANG: ZEICHEN DER ZEIT (Demons Run Amok)
Deutscher Trashmetal mit Punk-Attitüde. Die Alben von Bands wie DESTRUCTION und anderen Teutonen-Monstern sind mir wohl bekannt
und bei ÜBERGANG haben sich neben solchen Strömungen auch noch einige andere Begebenheiten vermischt. Die Musik ist sehr ungemütlich, infernalisch und keine leichte Kost. Unberechenbare Gitarren,
das Schlagzeug brettert dominant durch das ganze Album. Gewiss nicht der Sound, den ich mir jeden Tag reinziehen würde, aber durch den Sänger der Band finde ich dennoch einen ganz guten Zugang zu
dem, was ÜBERGANG machen wollen. Hier haben wir es mit einer neuen Band von Sebi/STOMPER 98 zu tun und auch wenn er bei einigen Leuten auf Unverständnis für diesen Schritt gestoßen ist, halte ich
ÜBERGANG genau wegen dieser Tatsache für löblich. Hier haben sich Leute zusammengefunden, die genau das machen, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Die genau das singen, was ihnen gerade auf der
Zunge brennt – abgesehen davon ist es bemerkenswert, in welche Rolle Sebi hier schlüpfen kann. Seine Stimme hat sich bei ÜBERGANG ganz anderes orientiert und passt wunderbar in das Gesamtwerk,
das hier in 13 Hammerschlägen runtergespült wird. „Zeichen der Zeit“ hat eine ganz spezielle Atmosphäre…da schimmern einige Klischees aus den 80ern durch, da kommt ein ganz bestimmtes Gefühl auf
– viel zu unbequem, um sich in Worten beschreiben zu lassen. Wie ein Unglück, wo man am liebsten wegschauen würde, aber dennoch dran bleibt, weil das doch irgendwie Sinn macht. Mythisch, zeitlose
30 Jahre zu spät und dennoch zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
THE TEMPLARS: Deus Vult (Pirates Press)
Ohne große Vorwarnung gibt es nach einem Jahrzehnt wieder ein neues Album von Carl, Phil & Co. Die Zeit in den heiligen Hallen
von Templecombe ist stehen geblieben – die Amis besitzen bekanntlich ein spezielles Gespür für Musik, das ihrem eigenen Sound unverkennbar und unvergleichlich gut macht. Carl hat einen
individuellen Zugang zu seinen Gitarrenkünsten, dazu die abgebrühte Stimme…die Songs schlängeln sich unverfroren an jeder Brickwall entlang und machen soundmässig Abstecher in so mancher Garage.
Wenn eine Band solche Platten zustande bringt, dann besitzt sie Nachhaltigkeit – von Anfang bis Ende ein richtiges Erlebnis, das die Skins aus New York da auftischen. THE TEMPLARS sind umtriebig
in Sachen Style und bereichern die subkulturelle Musikszene mit „Deus Vult“ mehr als zehn mittelmässige Bands zusammen – dass sie Ahnung von Musik und Lebensstil haben, beweisen sie hier mit 12
neuen Argumenten. Starke Leistung, Chiswick-Groove meets american Aggro Oi!
THE COMPLICATORS: S/T (Pirates Press)
Diese Band ist in San Francisco beheimatet und existiert offenbar noch nicht sehr lange. Soweit ich das verstehe, ist diese kleine
Platte ihr erstes Lebenszeichen. Dafür ist es auch gelungen, aber eine langfristige Prognose lässt sich aktuell noch nicht abgeben. Sie spielen eingängigen Streetpunk, wie viele andere auch – die
Songs sind alle eingängig und bemüht, aber große Augen oder feuchte Schenkel erzeugen sie derzeit nicht unbedingt. Vor 15 Jahren wären sie ihrer Zeit weit voraus gewesen, heute gibt es viele
Bands dieser Gattung.
MISSSTAND: I CAN`T RELAX IN HINTERLAND (Aggressive Punkproduktionen)
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die Kärntner Punkband bisher immer nur am Rande
wahrgenommen habe. Das Trio hat aber ordentlich Dampf im Kessel, deutschsprachiger Punkrock hat wieder Relevanz. Ich habe dem Genre in jüngerer Vergangenheit weniger Aufmerksamkeit geschenkt,
weil mir viele Bands zu pseudo-intellektuell waren. MISSSTAND gehen völlig entspannt und unverkrampft ans Werk – auf sehr leicht verdauliche Weise. Flotter, melodiöser Punkrock, der aber nicht
überproduziert ist, dazu gut verständliche Texte mit nachvollziehbarem Inhalt – das geht in Summe gut ins Ohr und könnte meiner Meinung nach gerne im Kärntner Tourismusführer gepusht werden.
MISSSTAND sind eine jener Bands, denen man sofort anhört, dass der Gitarrist auch gleichzeitig Sänger der Band ist, das hat meistens eine ganz eigene Dynamik, die hier deutlich zur Geltung kommt
und die Eingängigkeit ganz elegant erzielt wird. Spannende Band, als Bonus gibt es noch das erste Album, das das hohe Potential von „I Can´t Relax in Hinterland“ noch deutlicher macht.
CREEPSHOW: DEATH AT MY DOOR (Concrete Jungle/Stomp Records)
Die kanadische Band hat sich mittlerweile in ihrer Zielgruppe ganz gut etabliert - gibt auch wenige Mängel, für
die man diese Formation belangen könnte. Viele Bands hat der Rückgang des großen Punkabilly-Trends Mitte der 2000er Jahre auch nicht übrig gelassen. Die Musiker haben ihre Instrumente im Griff,
Sängerin Kenda verleiht einen poppigeren Gesamteindruck, sodass ich die Schublade „Psychobilly“ im herkömmlichen Sinn nicht unbedingt mit dieser Band bestücken würde. Ein solides Album, das bei
den Fans gut ankommen wird, textlich ich schwanke ich zwischen Oberfläche und Tiefgang. Im Detail hat die Scheibe viele gute Momente, in Summe überwiegt dann aber doch die Belanglosigkeit, weil
in meinen Ohren wenig hängen bleibt.
THIS MEANS WAR: S/T (Pirates Press)
Ganz frische Band aus dem Norden Europas mit nicht ganz zu frischen Leuten. Holland & Co ist für seine gut funktionierende
Hardcore-Landschaft bekannt, der geneigte Hörer härterer Töne wird den einen oder anderen Namen im Line-Up nicht zum ersten Mal in seinem Leben hören. THIS MEANS WAR markieren aber auf dieser 10“
nicht die harten Tough Guys, sondern spielen herkömmlichen, standardisierten Streetpunk. Das ist grundsätzlich keine schlechte Idee, allerdings klingen die 5 Nummern in ihrem Gesamtbild einfach
zu viel nach Durchschnitt. Die Luft in diesem Genre ist dünner denn je, THIS MEANS WAR glänzen zwar mit Erfahrung, kompaktem Songwriting – aber das Ergebnis besitzt für mich dann doch kein
Alleinstellungsmerkmal, weswegen man die Band nicht unbedingt als Fels in der Brandung in den überfluteten Strassen des Punks bezeichnen kann.
KAISERSCHMOARN: DER ERSTE STREICH (Gulasch Musi Records/UFO Beats)
Endlich die erste offizielle Veröffentlichung von dem Trio aus dem beschaulichen Salzkammergut.
KAISERSCHMOARN bieten Kurbehandlung für die Ohren – die 6 Nummern kommen sehr selbstbewusst und kraftvoll, alles mit deutschen Texten verziert und gewiss mehr in der Subkultur verankert als in
der Pest des Deutschrocks. Auch gesanglich werden alle Ressourcen verwendet, sodass die Songs alle schön angriffslustig und zackig klingen. KAISERSCHMOARN zaubern ein rundum ansprechendes
Erstlingswerk, das mit einem gesunden Maß an Routine besticht. Sehr gelungenes Artwork – eine Band, für die sich Österreich bestimmt nicht schämen muss….beim Durchschnittsbürger aber durchaus
Sodbrennen verursachen wird. Immerhin handelt es sich bei Kaiserschmarrn ja um eine traditionelle Süßspeise.
SATURDAYS HEROES: PINEROAD (Lovely Records)
Neues Album der Schweden, die in ihren Anfangstagen noch in einem anderen Genre beheimatet waren und bei Bandworm veröffentlicht
haben. Ich habe die Band nicht allzu intensiv verfolgt, aber es macht den Anschein, als hätten sie sich von ihren Wurzeln etwas distanziert. Sowohl Image als auch Label wurde gewechselt, das
stimmt mich immer etwas skeptisch. Meist ein Hinweis auf angebliche Weiterentwicklung, was grundsätzlich lobenswert ist. Aber so sind die Helden des Samstags da gelandet, wo viele landen: in
einem einheitlichen Brei aus DROPKICK MURPHYS, BRUCE SPRINGSTEEN und allerhand anderen Klassikern aus Amerika. Feinschliff, gedrosseltes Tempo nimmt da etwas den authentischen Touch, was ich
schade finde. Denn in diesem Bereich ist die Luft dünn und riecht dennoch nach Langeweile.
PETER & THE TEST TUBE BABIES: THAT SHALLOT (Nuclear Blast/Warner)
Fettes Label-Netzwerk, das sich der stämmige Peter da ausgesucht hat, aber die Engländer sind nicht nur
für ihre Labelwechsel bekannt. Sondern auch dafür, dass sie in ihrer langen Laufbahn kaum Fehltritte hingelegt haben. Ich habe alle ihre Alben im Regal stehen und „That Shallot“ ist nur ein
weiterer Puzzleteil für ein gelungenes Lebenswerk. P&TTTB haben ihre Rotzigkeit und den Humor stets behalten, verbergen ihre englische Mentalität zu keiner Sekunde und lassen sich noch immer
nicht so leicht mit anderen Branchenkollegen vergleichen. Die neuen Songs klingen alle sehr spontan, ein paar musikalische Ausreisser wie „Silicone Beer Gut“ lockern die ohnehin entspannte
Stimmung noch einmal auf. Peter Bywaters mag ein alter Sack sein, aber er hat´s immer noch drauf – sowohl den klassischen englischen Punk („None of your fucking business“) als auch die typischen
Textinhalte hat man entweder im Blut oder nicht. P&TTTB Platten haben immer eine ganz spezielle Atmosphäre, auch der übliche Gitarrensound wird fortgeführt. Starkes Album – that
shallot!
ANTISECT: THE RISING OF THE LIGHTS (Rise Above)
Die englischen Anarcho-Punks wollen es auch noch einmal wissen. Ich finde die allererste Platte von ihnen sehr gut, weil sie
mit „In Darkness, There Is No Choice“ einen Klassiker geschaffen haben. Verglichen zu dem Werk, das sie jetzt aktuell vorlegen, liegen allerdings Welten der Dunkelheit. „The Rising Of The Lights“
enthält neun Songs, die allesamt mehr nach kontrolliertem Metal klingen, als nach angriffslustigem Hardcore-Punk. Sehr sperrige Gitarrenriffs, aber wenig von der früheren Attitüde. Einzig die
Destruktivität ist geblieben, aber die war in der frühen Phase der Band musikalisch weit verdaulicher verpackt.
THE ADICTS: AND IT WAS SO (Arising Empire/Nuclear Blast/Warner)
Ein neues Album der ADICTS ist immer wie Weihnachten für kleine Kinder. Mit dem Unterschied, dass Monkey ein
viel zuverlässigerer Weihnachtsmann ist. Zusammen mit seinen Kollegen bringt er nämlich Geschenke, die keine Wünsche offen lassen. „And it was so“ sorgt selbst in seinen dunklen Augenblicken für
gute Laune, die Tracks sind alle sehr eigenständig und zeigen perfekt, wie vielseitig THE ADICTS sein können. Der Gesamteindruck hinterlässt immer Glück und Freude. Egal ob der Flair ihrer frühen
Werke nachwirkt oder ihre zurückhaltende, fast überirdische Fähigkeit – das Album fesselt in vielen Momenten. So heben sich gute Bands vom Rest ab – sie funktionieren einfach ganz automatisch,
egal ob sie eine „Fucked Up World“ schwungvoll besingen oder mit „You´ll Be The Death Of Me“ eine ganz konträre Seite ihres Daseins zeigen – man hat immer ein „Deja Vu“, dass THE ADICTS immer
schon anders waren, als andere Bands. Das klappt auch nach Jahrzehnten und wird hoffentlich so bleiben.